Kein Haus bauen: Warum ist das gut?

Durch glückliche Umstände bin ich von meinem Plan abgekommen, ein altes Haus zu sanieren. Kein Haus bauen – das sehe ich mittlerweile als die bessere Option. Hier beschreibe ich meinen gedanklichen Wandel: vom Wunsch nach einem Eigenheim zu dem guten Gefühl, einfach nur Mieter zu sein.

Der Fetisch aus Ytong, Plastikfolie und Bauschaum

Das Thema Eigenheim hat Spaltpotenzial: Auf der einen Seite stehen die Befürworter, die sich nach einem eigenen Haus sehnen. Die alles dafür tun, ihren Traum finanziell zu stemmen. Auf der anderen Seite gibt es eine wachsende Zahl von Menschen, die diesen Irrsinn nicht mehr mitgehen kann. Weil es oft nicht mehr ausreicht, viel zu arbeiten und diszipliniert zu sparen.

Doch noch ist bei den meisten der Wunsch übermächtig. Wie bei einer Religion werden eingeübte Glaubenssätze endlos wiederholt und selten hinterfragt, Fakten ausgeblendet. Wer sein eigenes Heim gebaut hat, meinen viele, habe es im Leben zu etwas gebracht.

Das war auch lange Zeit meine Einstellung. Doch meine Sicht auf das Thema Hausbau hat sich um 180 Grad gedreht.

Mein ganz persönlicher Bezug: Traum vom Haus oder Albtraum Eigenheim?

Meine Frau und ich wollten ein altes, leerstehendes Bauernhaus kaufen und sanieren. Nach nervenaufreibenden Verhandlungen konnten wir uns mit dem Eigentümer schließlich auf einen Kaufpreis einigen. Dieser überstieg unsere Vorstellung deutlich, doch wir hielten an unserem Plan fest – der vielleicht häufigste Fehler bei Konsumenten und Investoren. Wir hatten einen Traum, den wir mit voller Energie verfolgten.

Mit der Planung begann eine Phase, die uns viel abverlangte. Mehrere Handwerksmeister führten wir durch das verfallene Gebäude. Mit jedem Rundgang wuchs die Zahl der Meinungen zu unserem Vorhaben, dabei hielten sich bejahende und skeptische Äußerungen in etwa die Waage. Mit den Kostenvoranschlägen von Hochbauer, Heizungsinstallateur und Tischler sank die Euphorie. Wir wussten nun: Das wird nichts.

Die Einsicht empfanden wir als großes Scheitern, denn unsere Eltern, unsere Freunde haben es doch auch gewuppt. Im Nachhinein betrachtet war es jedoch ein riesiges Glück, mich von dem Wunsch nach den eigenen vier Wänden gelöst zu haben. Ich kann das heute ohne Groll oder Neid sagen, weil ich nicht aufgehört habe, Fakten und Gedanken zu Haus und Hof zu sammeln.

Flexibilität statt Klumpenrisiko

Eine selbst genutzte Immobilie ist der größte Klumpen, den man sich überhaupt ans Bein binden kann. Wenn man in der Lage ist, genügend Eigenkapital aufzubringen (100.000 Euro sind kein Pappenstiel), lebt man dann auch noch die nächsten zwei oder drei Jahrzehnte als Schuldner. Alles wird, mit sehr viel Hoffnung versehen, auf eine Karte gesetzt.

Nun wohnen wir in einem ehemaligen Pfarrhaus. Ein mit Backstein verklinkertes Bauwerk mit Türmchen, große Räume mit hohen Decken. Ein Garten so groß wie ein halbes Fußballfeld. Gleichzeitig ist die Miete für 170 Quadratmeter günstiger als in unserer Berliner Wohnung mit weniger als 60. Wir fühlen uns frei: Die Kündigungsfrist beträgt drei Monate.

Vermögensaufbau statt Lifestyle

Eine selbstgenutzte Immobilie wirft, anders als etwa (langfristige!) Investitionen am Aktienmarkt, keine Erträge ab. Das Wohnen im Eigenheim ist Lifestyle, kein Vermögensaufbau. Hierzu eine kleine Beispielrechnung:

Anmerkung: Ich kalkuliere hier mit eigenen Erfahrungswerten, gerundeten Summen und vereinfachenden Annahmen. So gehe ich von einer Inflation und Wertsteigerungen von null aus, lasse die Qualitätsunterschiede zwischen meiner gemieteten Immobilie und einem Neubau unbeachtet, und quantifiziere planerische Unannehmlichkeiten sowie Zins- und Marktrisiken nicht. Es geht um die Richtung der Rechnung, nicht um die zweite Nachkommastelle.

Für ein Häuschen auf dem Land nehme ich einen Kredit von 200.000 Euro auf und steuere 50.000 Euro Eigenkapital bei – sprich: das Haus kostet 250.000 Euro. Bei einem effektiven Jahreszins von 2,5 Prozent hätte ich 20 Jahre lang eine monatliche Belastung von rund 1.100 Euro zu tragen. Am Ende der Laufzeit wären Zinsen in Höhe von über 50.000 Euro geflossen. Für das Haus hätte ich also bis dahin 300.000 Euro gezahlt (mit Hilfe eines Online-Zinsrechners für Kredite bekommt man ein Gefühl für die Größenordnungen).

Wertverlust: Wenn ich das Objekt über 100 Jahre abschreibe (sprich: die Substanz einmal komplett ersetzten müsste), wären monatlich rund 210 Euro zu reinvestieren – bis in alle Ewigkeit. Sofern ich das nicht tue, wäre das Haus am Ende der Kreditlaufzeit halt nur noch 200.000 Euro (210 Euro * 12 [Monate] * 20 [Jahre] = 50.400 Euro) wert.

Würde ich meine 50.000 Euro Ersparnisse anlegen und monatlich 500 Euro zusätzlich über einen Sparplan investieren (die ich bei meiner aktuellen Miete – wohlgemerkt: eines Hauses – gegenüber der Tilgung spare), der eine Rendite von real 3 Prozent erzielt (bei Aktien eine mehr als konservative Schätzung), hätte ich nach 20 Jahren ein Geldvermögen von 250.000 Euro.

Aus diesem Vermögen könnte ich dann monatlich über 600 Euro Erträge aus dem Topf entnehmen. Das ist mehr als meine derzeitige Kaltmiete (Nebenkosten entstehen in beiden Fällen und werden daher nicht betrachtet).

Machen lassen statt endloser Auswahlentscheidungen

Ich sehe es in meiner Familie: Wenn in Vaters Haus die Heizung ausfällt, ist er eine Woche damit befasst, Ersatzteile zu beschaffen und Termine mit Handwerkern zu koordinieren. Am Ende saugen Havarien und ähnliche Katastrophen die letzte Kraft aus dem ohnehin müden Körper. So sind die Abende mit nervtötenden Gedanken beladen.

Als Mieter hat man weniger Scherereien, wenn mal etwas kaputtgeht. Auch ist die Unsicherheit bezüglich der entstehenden Kosten geringer, da sich Eigenanteile meist im erträglichen Rahmen bewegen. Mit dem Einzug wird ein Standard festgelegt. Zwar kann man danach vom Vermieter nicht mehr erwarten, aber eben auch nicht weniger.

Glaskugel: Trennungen von Paaren sind alltäglich, das wird jeder bestätigen können. Die Scheidungsquote liegt in Deutschland heute bei einem Drittel. Das ist zwar deutlich unter dem Höchststand von 52 Prozent im Jahr 2005. Doch das unromantische Szenario, eine Trennung inklusive Haus abwickeln zu müssen, bleibt real.

Schon bei der Erstellung von Plänen, Kalkulationen und Verträgen investieren angehende Hausherren hunderte Stunden Arbeit. Noch bevor der erste Stein gesetzt wird, können die vielen Entscheidungen bei der Wahl von Fenstern, Böden und Armaturen den Häuslebauer zermürben. Wer eine Mietwohnung bezieht, findet die goldenen Türklinken vielleicht nicht schön. Aber in der Regel ist nach spätestens einer Woche die Optik völlig egal.

Möglicher Abgang statt Dauerbelastung

In der Regel haben wir keinen Einfluss darauf, wer nebenan wohnt. Das ist zunächst einmal unabhängig davon, ob man ein Objekt mietet oder besitzt. Nur: Ein Eigentümer muss mit dem Gefühl, neben einem Tyrannen zu wohnen, womöglich bis zu seinem Lebensende klarkommen. Als Mieter wechselt man doch schneller mal den Wohnort.

Wer ein freundschaftliches Verhältnis zum Typen nebenan pflegt, kann natürlich gern auch länger bleiben.

Der Irrglaube vom nachhaltigen Bauen

Ganz ohne erhobenen Zeigefinger muss am Ende noch gesagt werden: Beim Bauen ist man (wie heute überall) einer ausführlichen Klimadebatte ausgesetzt. Ein Haus zu errichten, verschlingt Ressourcen. Das Material und die Energie für den Bau (graue Emissionen) lassen sich mit einem grünen Gewissen, das viele Bauherren antreibt, nicht in Einklang bringen. Hinzu kommt ein zunehmender Flächenverbrauch, der die Ökobilanz des Baubooms weiter verschlechtert.

Wenn jemand eigenen Wohnraum möchte, dann empfiehlt sich aus Klimasicht eine Gebäudesanierung, mit der ein Großteil der Emissionen gespart werden können. Die aktuelle Bauoffensive sollte dringend überprüft werden, denn Neubauten sind echte Klimakiller – selbst bei luftdichten Hüllen mit effizienten Wärmesystemen. Und bei steigender Wohnfläche pro Kopf werden viele Vorteile schnell aufgezehrt (ein klassischer Rebound-Effekt).

Zusammenfassung und Ausblick

Ein Traumhaus, der Traum vom Haus, Betongold, die eigenen vier Wände. Das klingt alles zu schön, um wahr zu sein. Und das ist es in vielen Fällen auch.

Und spätestens mit der Zinswende der EZB im Juni 2022 steht fest: Die Zeiten für Kreditnehmer in einem irrsinnigen Umfeld werden eher noch härter.

Gegen eine selbstgenutzte Immobilie spricht:

  • Ein Bauherr investiert alles, was er hat, in ein einziges Objekt und bindet sich über Jahrzehnte.
  • Wenn das Geld im Haus gebunden ist, kann es nicht mehr für mich arbeiten.
  • Wer Eigentum besitzt, muss sich um alles selbst kümmern und viel entscheiden.
  • Auf der anderen Seite des Zauns kann jemand leben, den man nicht mehr loswird.
  • Es gehört mit zur Wahrheit: Bauen belastet das Klima.

Die Liste ist nicht abschließend. Kein Haus bauen ist eine Überlegung wert.

Zwar freue ich mich für alle, die ihren Traum leben – ehrlich und aufrichtig. Für mich bin ich jedoch heilfroh, mich anders entschieden zu haben.

Stand: Juni 2022