Trinkgeld abschaffen – sorry, aber das ist längst überfällig

Menschen arbeiten für Geld. Obwohl die allermeisten dabei niemals ein Trinkgeld erwarten können oder gar annehmen dürfen, sind sie doch nett und freundlich. Angestellte in der Gastronomie haben andere Ansprüche. Zu unrecht.

Es hat mal wieder länger gedauert und als das Essen dann kam, hat es nicht einmal sonderlich gut geschmeckt. Die Bedienung war so freundlich, wie man es erwarten kann – nicht weniger, aber eben auch nicht mehr. Und was macht man als guter Gast? Richtig, man gibt ein Trinkgeld. Nur, wofür eigentlich?

Trinkgeld abschaffen klingt hart, aber Trinkgeld geben bereitet mir bei jedem Restaurantbesuch ein ungutes Gefühl. © Bild von Peter Stanic auf Pixabay.

Ich habe schon in verschiedenen Jobs gearbeitet: in einem privaten Forschungsinstitut, in der Bauverwaltung, im Projektmanagement. Und auch wenn eine Selbstdiagnose nie objektiv sein kann, behaupte ich: In den allermeisten Fällen habe ich mich kundenorientiert und zuvorkommend verhalten. Am Ende des Monats landete dann immer das gleiche Gehalt auf dem Konto. Eine Extrarecherche, ein zusätzlicher Anruf beim Bürger, eine pointierte Infomail – alles egal, beziehungsweise mit dem Gehalt abgegolten.

Das unangenehme ist die Ritualisierung

Zurück ins Restaurant: Der Kellner würde sicher behaupten, er sei auf Trinkgelder angewiesen. Ob das tatsächlich stimmt, weiß ich nicht mit Sicherheit – kann es aber bei einem Mindestlohn von derzeit 12,41 Euro pro Stunde kaum glauben. Nun gut, bis das Trinkgeld endlich abgeschafft ist, beiße ich in den sauren Apfel und zahle die zwei Euro für Pizza und Bier oben drauf.

Widerwillig, denn mich nervt dieses ritualisierte zwischenmenschliche Verhalten. „Jeder kann doch so viel geben, wie er denkt“, sagen mir dann Insider. Doch genau diese Aussage macht es noch schlimmer: Ich kann mich an Situationen erinnern, in denen ich kein Trinkgeld gegeben habe und danach in ein vorwurfsvolles Gesicht blicken musste. Awkward.

Wie aus einer anderen Zeit

Die Sitte ist nicht mehr zeitgemäß, denn sie verfestigt ein Gefühl der Bedürftigkeit bestimmter Personengruppen und kann schnell zu einer subtilen Machtdemonstration verkommen. Der solvente Kunde gibt dem Geringverdiener ein Extra aus edlen Motiven, nach dem Motto: Ich bin selbstverständlich großzügig, denn die paar Euro fehlen mir nicht. Dies widerspricht sämtlichen politischen und gesellschaftlichen Bestrebungen.

So gesehen ist Trinkgeld abschaffen keine kaltherzige Forderung, sondern ein logischer Schritt in Richtung einer gerechteren Gesellschaft.

Lösung: Ich bin ein Befürworter fairer Bezahlung und ein Fan ökonomisch adäquater Mindestlöhne. Worum ich Gastwirte hierzulande jedoch bitten möchte: Preist die nette Bedienung direkt ein. Und schreibt dann an die Pforte: „Wir bedienen ohne Trinkgeld.“

Diskussion: Ich habe noch nie in einem Bereich gearbeitet, in dem Trinkgelder dazugehören, was meine Einstellung sicherlich einseitig macht.
Hast du zu meinen Gedanken grundlegende Einwände? Dann freue ich mich über einen Kommentar, eine Nachricht an info@gedanken-ohne-schranken.de oder eine Verlinkung in die sozialen Netzwerke.

Letztes Update: März 2024

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